Planwirtschaft und Weltmarktdruck: so wird das Stahljahr 2019

von Dagmar Dieterle

Über weite Strecken des Jahres 2018 konnten die globalen Stahlpreise das zuvor erreichte hohe Niveau halten. Erst im Schlussquartal war eine klare Abschwächung zu beobachten. Hält der Abschwung im neuen Jahr an oder wird es zu einer Gegenbewegung kommen? Nachdem nun die Ausgestaltung der im Februar in Kraft tretenden, endgültigen „Schutzmaßnahmen“ der EU bekannt ist, wird der Ausblick ins neue Jahr klarer. Die safeguards bringen zwar planwirtschaftliche Züge in den EU-Stahlmarkt, sind aber kein „worst case“ für Stahlverarbeiter. Am Weltmarkt wird der Wettbewerb intensiver als in den Vorjahren ausfallen. Entsprechend werden die Preise in der Tendenz unter Druck stehen. Am EU-Stahlmarkt wird sich die Nachfragedynamik der Vorjahre nicht fortsetzen. Im Ergebnis besteht für die Stahlpreise im Jahr 2019 mehr Abwärts- als Aufwärtspotenzial, auch wenn Schwankungen in beide Richtungen möglich bleiben.

Ein Trump-Tweet, tropische Wirbelstürme, der Brexit, Handelskonflikte, das Agieren der chinesischen Regierung – dies ist nur eine Auswahl der Faktoren, die neue Bewertungen mit sich bringen können und die Stahlmarktteilnehmer daher im Auge behalten müssen. Dennoch wage ich auch in diesem Jahr einen Ausblick. Für die Stahlpreisentwicklung 2019 werden aus meiner Sicht die folgenden drei Einflüsse am wichtigsten sein:

  1. Weltmarkt: Boom steht vor dem Ende

 Etwas später als von mir erwartet scheint der durch hohe Stahlpreise und rekordhohe Renditen gekennzeichnete Boom am globalen Stahlmarkt nun vor dem Ende stehen.

Wichtigster Faktor ist dabei der Markt in China, der an Stützkraft verliert. Die Kürzung von Kapazitäten hatte 2017/2018 im Zusammenspiel mit einer wachsenden Nachfrage zu hohen Preisen am Inlands- und Exportmarkt geführt. Doch die Preise sind in den vergangenen Monaten stark gefallen. Einiges spricht dafür, dass die strukturelle Überkapazität in diesem Jahr wieder mehr zu spüren sein wird. Die chinesischen Exporte werden sich 2019 stabilisieren oder sogar wieder steigen. Zwar sind die politischen Einflüsse in China kaum vorherzusagen und es ist - gerade für die nächsten Monate - auch nicht auszuschließen, dass die Preise wieder ein Stück weit ansteigen. Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass die Preise am Inlands- und Exportmarkt nochmals die Spitzenwerte der vergangenen beiden Jahre erreichen.

Zusätzlich sind an weiteren Stellen des Weltmarktes Problemherde entstanden, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihrer Gesamtheit nicht so schnell auflösen werden. Zu nennen ist besonders die Türkei, aber auch das schwache Nachfragewachstum in weiteren wichtigen Exportländern wie Süd-Korea oder Russland. Dazu kommt die in verschiedenen Ländern zu beobachtende Schwäche der Automobilindustrie und die Tatsache, dass am Weltmarkt immer mehr leistungsfähige Stahlhersteller aktiv sind.

Trotz allem Protektionismus: Der dadurch ausgelöste Preisdruck wird stärker sein als in den Vorjahren und länderübergreifend zu spüren sein.

 

  1. EU-Schutzmaßnahmen: Kein „worst case“ für Stahlverarbeiter

 Das gilt auch für die EU, und es gilt trotz der sogenannten „Schutzmaßnahmen“. Nachdem nun Erfahrungen mit den seit Juli 2018 geltenden vorläufigen Maßnahmen vorliegen und die Ausgestaltung der ab Februar 2019 geltenden, endgültigen Maßnahmen weitgehend klar ist, kann eine erste Bewertung erfolgen.

Meine Grundeinschätzung hat sich nicht geändert: Die Anwendung der „Schutzmaßnahmen“, die politisch als Abwehrinstrument gegen die ungerechtfertigten US-Importzölle gut verkauft werden können, ist in der Breite der betroffenen Stahlerzeugnisse nicht gerechtfertigt. Denn bei vielen betroffenen Warenkategorien sind die von der Welthandelsorganisation WTO vorgegebenen Kriterien schlicht und einfach nicht erfüllt. Einige Komponenten haben zudem offensichtlich nichts mit dem Schutz vor Handelsumlenkung zu tun, sondern dienen einzig dazu, die EU-Stahlindustrie vor unliebsamem internationalen Wettbewerb zu schützen. Oder warum sonst verteilt die EU-Kommission Importe mittels Quartalskontingenten „gleichmäßig“ auf das Jahr? Warum sonst werden Teile der Importkontingente einzelnen Herkunftsländern zugewiesen?

Auf der anderen Seite konnte die Kommission aber den lauten Protest vieler Stahlverarbeiter nicht ignorieren. Diese haben mit ihren Eingaben erreicht, dass die bestehenden Anti-Dumping-Maßnahmen bei der Länderzuteilung berücksichtigt werden und dass die Kontingente jährlich um 5% erhöht werden. Das nimmt den Safeguards einiges an Schärfe.

Ab Februar wird ein kompliziertes Gesamtpaket gelten, das den mit Drittlandimporten verbundenen bürokratischen Aufwand deutlich erhöhen wird. Stahlhändler und Stahleinkäufer brüten darüber, welche Regel jetzt für Import X aus Land Y gilt, welches zollfreie Kontingent zu welchem Zeitpunkt frei oder voll sein wird und wie man sich am besten dagegen wappnen kann, einen Importzoll von 25% stemmen zu müssen. Die „Schutzmaßnahmen“ werden entlang der Supply Chain unnötig Ressourcen binden und für Ärger sorgen. Flexible Nutzung sich bietender Marktchancen? Fehlanzeige. Adé Marktwirtschaft, willkommen Planwirtschaft!

Aber wie ist die Marktwirkung darüber hinaus zu beurteilen? Die vorläufigen Maßnahmen haben insgesamt die ankommenden Preiseinflüsse des Weltmarktes vielleicht gedämpft, aber nicht aufgehalten. Bei allen Unsicherheiten spricht vieles dafür, dass dies so bleibt. Bei einigen Erzeugnissen wie Walzdraht, Stabstahl oder verzinkten Blechen könnten zwar die zollfreien Kontingente zu knapp bemessen sein und die Versorgung erschweren. Beim wichtigsten Importprodukt Warmbreitband dürften sich die Auswirkungen wie auch bei vielen anderen Erzeugnissen aber in Grenzen halten. Insgesamt kann eine tendenziell preiserhöhende Wirkung zwar nicht ausgeschlossen werden. Es sieht aber so aus, als ob das von Verarbeitern befürchtete „worst case“-Szenario in Form von allgemeinen Versorgungsengpässen mit massiv höheren Preisen nicht eintreten wird.

 

  1. Nachfragedynamik lässt nach

 Dazu sind auch die Perspektiven auf der Nachfrageseite zu schwach. Die Reihe von negativen Konjunkturmeldungen aus der Industrie unterstreicht die Erwartung, dass sich am Stahlmarkt der EU die starke Nachfragedynamik der vergangenen Jahre nicht fortsetzen wird. Es ist weiter unklar, wann und in welchem Maß die Automobilindustrie ihre Schwächephase überwinden kann. Die Bedarfe könnten in den kommenden Wochen zwar wieder anziehen, werden wohl aber nicht mehr die Wachstumsraten der vergangenen Jahre erreichen. Die Unterstützung der Stahlbestellungen durch positive lagerzyklische Einflüsse, die oft im ersten Halbjahr zu beobachten ist, dürfte sich in diesem Jahr angesichts der vielen Unsicherheiten und der oft noch hohen Bestände in Grenzen halten.

Eine Stabilisierung des Stahlbedarfs auf dem erreichten gutem Niveau ist das wahrscheinlichste Szenario. Ob der Anfang November in einem noch besseren Konjunkturumfeld vom europäischen Stahlverband Eurofer für 2019 prognostizierte Nachfragezuwachs von ca. 1% erreicht werden kann, bleibt abzuwarten.

Aus dem Zusammenspiel dieser Einflüsse ergibt sich für die Stahlpreise in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt mehr Abwärts- als Aufwärtspotenzial. Es gibt aber durchaus Unterschiede in den einzelnen Segmenten des Stahlmarktes, die im Detail analysiert werden müssen.

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

Zurück