„Nur ein ganzheitlicher Ansatz ist nachhaltig“
von Dagmar Dieterle
Dr. Henrik Adam, Chief Commercial Officer bei Tata Steel in Europa, spricht im Interview über die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft für die europäische Stahlindustrie, neue Geschäftsmodelle und die drohenden US-Strafzölle.
marketSTEEL: In Ihrem Vortrag auf der Handelsblatt Jahrestagung „Zukunft Stahl“ haben Sie beschrieben, dass die europäische Stahlindustrie bereit für ein neues Betriebsmodell sein muss. Wie sieht dieses Betriebsmodell der Zukunft aus?
Wir wollen als Stahlunternehmen in allen Belangen nachhaltig werden. Das heißt auch, in der ganzen Produktionskette möglichst oft aus der Linie einen Kreis zu machen. Was einmal verbraucht worden ist, muss irgendwann den Weg zurück in die Kette finden. Dabei gibt es verschiedene Elemente: Das Einsammeln und Weiterverarbeiten von Recyclingstahl gehört ebenso dazu wie ein reduzierter Rohstoffverbrauch. Eine weitere Option ist die Etablierung von neuen Geschäfts- und Servicemodellen, mit denen Unternehmen ganz andere Steuerungsmöglichkeiten im Rahmen der Kreislaufwirtschaft haben. Und diesen ganzheitlichen Ansatz des Kreislaufs müssen wir noch stärker in Gang bekommen. Wir haben schon viele Elemente in Teilen implementiert, aber noch nicht als größeren Block.
marketSTEEL: Sie sprechen von Stahl als Serviceleistung. Wie können daraus nachhaltige Stahlanwendungen entstehen?
Man kann Autos leasen und man kann Maschinen leasen. Aber was man heute beispielsweise noch nicht leasen kann, ist Stahl. Dieser Weg wird auch über Organisationen führen, die sich noch finden müssen. Das können Startups sein oder Dienstleister für andere Services, die solche Konzepte forcieren. Ein Beispiel hierfür ist das Courthouse in Amsterdam, ein Gerichtsgebäude. Sein Bau ist vollständig auf Demontierbarkeit ausgelegt. Der Betreiber hat das Gebäude errichtet und vermarktet es auch. Die verwendeten Stahlbauteile können zu 100 Prozent zerlegt und wiederverwendet werden. Das ist ein wunderbares Beispiel für Stahl als Dienstleistung.
marketSTEEL: In Ihrem Vortrag haben Sie davon gesprochen, dass es im Hinblick auf eine runde Kreislaufwirtschaft schon einige Pflänzchen gibt, die aber noch gegossen werden müssen. Haben Sie ein Beispiel, wo Tata Steels europäische Geschäftseinheiten in diesem Bereich schon tätig sind?
Ein Thema ist etwa das Recycling von Verpackungsstahl. Bei Tata Steel ist es selbstverständlich, dass die Recyclingquote hoch ist. In diesem Zusammenhang haben wir Konzepte, die in der Wirtschaft bei Verpackungsmitteln angestoßen wurden, mitdefiniert. Auch, weil wir die Lieferströme in manchen Industriezweigen besonders gut kennen. Tata Steel forciert die Entwicklung solcher Themen. Ob dann immer Stahl dabei ist, ist letztendlich sekundär. Entscheidend ist vielmehr, den Industriestandort Europa langfristig zu sichern. Ein großer Hebel ist dabei gerade auch die Verbesserung der CO2-Bilanz. Wir wollen einen Großteil unserer Emissionen in 20 Jahren reduziert haben und haben die Vision im Jahr 2050 möglichst CO2-frei sein. Wir haben heute noch keinen detaillierten Plan , wie das gehen könnte, aber wir haben bereits einige Prozesse, mit denen wir auf diese Vision hinarbeiten. Ein erfolgversprechender Schritt ist beispielsweise die Hlsarna-Pilotanlage im niederländischen IJmuiden. Dort testen wir ein innovatives Schmelzreduktionsverfahren zur ressourcenschonenderen Produktion von Roheisen. Mittlerweile wissen wir, dass der Prozess funktioniert, das ist gut. Im Moment reden wir bei Hlsarna allerdings über einzelne Tonnen. Zum Vergleich: Als Tata Steel in Europa produzieren wir täglich rund 50.000 Tonnen Stahl. Und auch wenn Hlsarna in Zukunft zu einer signifikanten CO2-Reduktion führen kann, sind wir von einer emissionsfreien Stahlproduktion noch Jahrzehnte entfernt. Wir arbeiten daher an verschiedenen Elementen, denn keine Einzellösung kann dem Ziel der Nachhaltigkeit wirklich gerecht werden.
marketSTEEL: Nachhaltigkeit wird die europäische Stahlindustrie also noch lange beschäftigen. Ein weiteres Thema, das in der Branche derzeit heiß diskutiert wird, ist die Politik von US-Präsident Donald Trump. Wären Tata Steels europäische Geschäftseinheiten von US-Importzöllen auf Stahl betroffen?
Ungefähr zehn Prozent unserer Liefermengen gehen in die USA, das ist schon signifikant. Viel grundlegender ist aber, dass Europa seit jeher von freien Handel lebt, das ist Teil unseres Wohlstands. Wenn dieser nachhaltig gestört ist, dann ist das für keinen gut. Deswegen unterstützen wir einen freien Handel, aber er muss weltweit fair und frei sein. Solch ein freier Handel hält schlank in den Strukturen und erhöht damit die Wettbewerbsfähigkeit. Daher kann eine Beschränkung des Freihandels in den USAauch für die USA auf Dauer nicht nachhaltig sein. Denn es besteht das Risiko, dass damit Produktion aus den USA vertrieben wird. Das ist für keine Volkswirtschaft gut.
marketSTEEL: Zumal die US-amerikanischen Hersteller bestimmte Stahlqualitäten ja gar nicht produzieren können.
Ich war letztes Jahr im Oktober auf dem 70-jährigen Firmenjubiläum eines Kunden in den USA, der seit 55 Jahren Kunde von Tata Steel ist. Wenn der Kunde lokal in den USA kaufen könnte, hätte er sich bestimmt schon einmal umgeschaut. Mit Hille & Müller haben wir beispielsweise in Düsseldorf ein Werk, in dem wir ein Stahlprodukt erzeugen, was eines unserer differenzierten Produkte ist. In dem Fall ist es vernickelt und wir unter anderem zur Batteriehülsenfertigung eingesetzt. Unsere Produktionsstandorte von Hille & Müller in den USA beziehen das Vorprodukt notwendigerweise aus Europa. Und auch Wettbewerber, die ein ähnliches Produkt liefern, produzieren dieses nicht in den USA. Tata Steel hat langfristige Lieferbeziehungen zu Kunden in den Vereinigten Staaten. Das ist ein Beleg für mich, dass die Kunden unsere Produkte wertschätzen. Außerdem sind Handelszölle auf Stahlprodukte ja keine neue Erfindung. Ich mache jetzt die vierte Welle großer Marktabschottungsprojekte in den USA mit.
marketSTEEL: Zum Abschluss noch eine Frage zur „Unternehmens-DNA“. Wie würden Sie Tata Steel in drei Schlagworten beschreiben?
Wir sind nachhaltig. Das bedeutet wir sind in allem, was wir tun, langfristig orientiert. Und wir sind paneuropäisch. Aber unser differenzierendes Kriterium ist meiner Meinung nach unsere besondere Kundenorientierung, das ist die Tata-DNA.
marketSTEEL: Und in aller Kürze auf den Punkt gebracht: Was ist das Erfolgsrezept von Tata Steel Europe?
Wir haben nicht nur den Schritt vom Commodity-Player hin zur Differenzierung gemacht, sondern auch von einer Ansammlung verschiedener Werke hin zu „One Tata Steel“ in Europa. Und wir haben durch die „Tata-Denke“ den Schritt zu einem nachhaltigen, kundenorientierten Unternehmen vollzogen. Diesen Weg wollen wir weitergehen, und der nächste Schritt heißt „Customer Passionate“.