Mehr Wettbewerb statt Konsolidierung am CO2-Grenzausgleich für Stahlimporte: Vorsicht, Stahlverarbeiter!
von Dagmar Dieterle
Mit einem Anteil von circa 7 Prozent an den weltweiten CO2 Emissionen steht die Stahlindustrie inmitten der Klimaschutz-Diskussion. In jüngster Zeit sind die Rufe der EU-Hersteller nach einem Klimaschutz-Zoll auf Stahlimporte lauter geworden. Damit sollen Lasten aus der europäischen Klimapolitik ausgeglichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Stahlindustrie gestärkt werden. Das Ansinnen ist zwar im Grundsatz nachvollziehbar, wirft aber viele Fragen auf. Stahlverarbeitende Unternehmen haben allen Grund, hellhörig zu sein. Denn am Ende könnten sie die Dummen sein.
Um was geht es?
Führende Vertreter der EU-Stahlindustrie fordern als Ausgleich für die aus der europäischen Klimapolitik resultierenden Lasten immer offensiver die Einführung eines „CO2-Grenzausgleichs“ auf Stahlimporte in die EU. Damit ist nichts anderes gemeint als Zölle auf Stahleinfuhren aus Ländern mit einem vermeintlich im Vergleich zur EU weniger strengen Klimaregime.
Auf dem “European Steel Day“ des europäischen Stahlverbandes Eurofer im Juni nahm das Thema breiten Raum ein und wurde vor allem im Sinne eines Kostenausgleichs diskutiert. Es hieß, der auf dem EU-Markt verkaufte Stahl müsse, unabhängig vom Herstellort, mit gleichen CO2-Kosten belegt sein. Bei einem angenommenen CO2-Ausstoß von 1,8 Tonnen pro Tonne Rohstahl und einem angenommenen CO2 -Preis von 25 €, drohten der EU-Industrie für eine Tonne Stahl zusätzliche Kosten von 45,- €. Da internationale Wettbewerber diese Kosten nicht zu tragen hätten, sei beim Import ein Ausgleich nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Stahlindustrie zu erhalten. Eine Möglichkeit dafür sei es, einer Tonne Importstahl dieselben CO2-Kosten aufzuerlegen wie sie im Durchschnitt bei einer in der EU hergestellten Tonne anfallen.
Im Vorjahr wurde bereits im Rahmen des Nationalen Stahlgipfels in Saarbrücken über eine sogenannte „grüne Grenzausgleichssteuer“ diskutiert, bei der Stahlimporte mit einem Zoll belegt werden sollen, die unter besonders hohem CO2-Ausstoß entstanden sind.
Hintergrund dieser Überlegungen ist die im Jahr 2021 beginnende 4. Handelsperiode des EU-Emissionsrechtehandels. Auch wenn bisweilen ein anderer Eindruck erweckt wird, sind die Kosten der Zertifikate heute noch kein wirklich ernstzunehmender Faktor. Dies wird sich aber ab 2021 langsam ändern, denn dann wird die Menge der frei zugeteilten Zertifikate schrittweise reduziert. Die darüber hinaus für die Produktion benötigten Zertifikate müssen zum jeweiligen Börsenpreis zugekauft werden. Grundlage für die kostenlose Zuteilung sind von der EU- Kommission festgelegte Emissionswerte (Benchmarks), die allerdings umstritten sind. Die Zuteilung der Stahlindustrie wird nach Aussage der Wirtschaftsvereinigung Stahl um rund 20 Prozent unter den Emissionen der effizientesten Anlagen liegen, im Jahr 2030 sogar um 30 Prozent und mehr. In der Breite dürften die Reduktionspotenziale der nun zunehmend auf den Weg gebrachten CO2armen Verfahren erst nach 2030 wirken. Somit drohen der EU-Stahlindustrie für Teile der Produktion in der Tat zusätzliche Kosten.
CO2-Grenzausgleich: schon im Grundsatz fragwürdig
Die Sorgen der europäischen Stahlindustrie sind nachvollziehbar. Die Branche ist Opfer einer EU-Klimapolitik, die sich in Alleingängen gefällt, weil sie international gültige Regeln offenbar nicht durchsetzen kann. Der globale Klimaschutz wird so nicht vorangebracht, die hiesige Industrie aber existenziell bedroht. Es kann der EU-Stahlindustrie nicht vorgeworfen werden, dass sie hier nach Auswegen sucht.
Dennoch muss das Konzept eines CO2-Grenzausgleichs kritisch hinterfragt werden. Die Idee wirft schon im Grundsatz viele Fragen auf. Denn grundsätzlich wird damit auf staatlichen Dirigismus mit einer hohen Gefahr von Fehlsteuerungen gesetzt. Ein Klimazoll würde vielleicht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Heimatmarkt stärken, nicht aber die auf den Exportmärkten. Möglicherweise ist es auch zu kurz gedacht, nur auf höhere Kosten zu schauen und zu argumentieren, diese könnten nicht an die Kunden weitergegeben werden. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass „grüner Stahl“ bei Kunden, die auf Nachhaltigkeit bedacht sind, zu einem Verkaufsargument wird, das auch einen höheren Preis rechtfertigt. Vor allem aber wirft die praktische Umsetzung viele Fragen auf.
Reiner Kostenausgleich macht keinen Sinn
Lässt man sich nämlich näher auf das Konzept eines CO2-Grenzausgleichs ein, ist zunächst zu entscheiden, auf welcher Basis dieser stattfinden soll. Der von Eurofer ins Spiel gebrachte Grenzausgleich rein zur Kompensation von internationalen Kostennachteilen macht keinen Sinn. Denn es soll ja eine vergleichsweise klimafreundliche Stahlerzeugung geschützt werden und nicht eine bestimmte Kostenposition. Vor allem, wenn mittlere CO2-Kosten bei der EU-Stahlherstellung als Basis für einen Grenzausgleich dienen würden, wären die Folgen höchst fragwürdig. Die höchsten Zusatzkosten wird der EU-Hersteller tragen müssen, der am weitesten von den vorgegebenen Zielwerten entfernt ist. Je weniger sich die EU-Stahlbranche insgesamt den Emissionszielen annähert, desto höher wären im Durchschnitt die bei der Erzeugung anfallenden CO2-Kosten und desto höher wäre auch die Grenzabgabe auf Importe. So würde kein Veränderungsdruck entstehen, die ökologische Lenkungswirkung würde weitgehend pulverisiert. Stahl würde einfach teurer, zu Lasten der stahlverarbeitenden Unternehmen.
Zudem ist zu fragen, wie und von wem die wirklichen Zusatzkosten neutral ermittelt werden sollen. Diese hängen von Faktoren wie dem spezifischen CO2-Ausstoß pro Tonne Stahl, der Erzeugungsmenge und dem CO2-Preis ab. Damit ist eine große Spanne zwischen einzelnen Werken ebenso vorprogrammiert wie starke Schwankungen im Zeitverlauf. Sollen auch die „dreckigsten“ EU-Werke von einem Grenzausgleich profitieren? Wie oft und auf welcher Basis soll der Grenzausgleich in der Höhe angepasst werden? Was passiert, wenn die EU-Stahlproduktion sinkt und damit auch die CO2-Emissonen und die Kosten? Sollen nur direkte Kosten aus dem CO2-Handel oder auch indirekte zum Beispiel aus höheren Strompreisen berücksichtigt werden? Werden Entlastungen der europäischen Industrie aus Sonderregeln bei der Zertifikatszuteilung und der öffentlichen Förderung zur Erforschung neuer Technologien verrechnet?
Individueller CO2-Ausstoß als Basis realistisch?
Wenn überhaupt, so müssten ein Grenzausgleich nicht auf Basis von Kostenunterschieden, sondern auf Basis des CO2-Ausstoßes stattfinden. Je weiter der Ausstoß von den EU-Zielwerten entfernt ist, desto größer müsste, unabhängig von der Herkunft des Stahls, die finanzielle Zusatzlast ausfallen. Dies wäre aus ökologischer Perspektive zu rechtfertigen und würde eine Diskriminierung ausländischer Anbieter vermeiden. Ob es für die EU politisch schlau und auch durchsetzbar ist, die eigenen Klimaziele der ganzen Welt aufzwingen zu wollen, ist allerdings eine andere Frage. Ganz entscheidend wäre aber auch bei diesem Konzept, von Durchschnittsbetrachtungen abzusehen. Vielmehr müsste der Ausstoß jedes Werkes, das in die EU liefern will, ermittelt und dann konkret mit spezifischen Werten derselben Anlagenklasse in der EU verglichen werden.
Denn durchschnittliche CO2-Emissionen der Stahlindustrie eines Landes sagen nichts über die CO2-Emission einer Tonne Stahl im konkreten Fall aus. Für die bei der Stahlerzeugung eines Landes anfallenden CO2-Emissionen ist in erster Linie der Produktionsanteil von Elektrostahlwerken (geringer spezifischer CO2-Ausstoß) und integrierten Hüttenwerken (hoher spezifischer CO2-Ausstoß) entscheidend. Neben der Erzeugungsroute spielen auch individuelle Faktoren wie das Alter und die Modernität der Anlagen und der eingesetzte Rohstoffmix eine wichtige Rolle. Daher kann Stahl aus Ländern, die einen hohen durchschnittlichen Emissionswert aufweisen, trotzdem weniger CO2 ausstoßen als vergleichbarer Stahl aus der EU, auch wenn die EU-Industrie vielleicht einen niedrigeren durchschnittlichen Wert ausweist. Keineswegs ist es so, dass in der EU produzierter Stahl in jedem Fall sauberer ist als importierter Stahl. In vielen Ländern sind in den vergangenen Jahren mit europäischer Anlagentechnik neue, effiziente Stahlwerke entstanden, die den Vergleich mit so manchem in die Jahre gekommenen Werk in der EU nicht zu scheuen brauchen.
Nötig wäre es also, in einem aufwändigen Verfahren den CO2-Abdruck jeweils anlagen- oder zumindest herstellerspezifisch zu vergleichen. Es darf bezweifelt werden, dass die dafür erforderlichen Daten aus dem Betrieb der weltweiten Stahlwerke in objektiver Weise beschafft und verglichen werden können. Es ist daher unwahrscheinlich, dass ein solches, wirklich an Klimaschutzzielen orientiertes Konzept jemals Realität wird.
Pauschalierung birgt Gefahren für Stahlverarbeiter
Die große Gefahr für Stahlverarbeiter in der EU ist, dass „Klimaschutz“ als Feigenblatt zur Abwehr von unliebsamer Konkurrenz benutzt wird. In der öffentlichen Diskussion rund um die „EU-Schutzmaßnahmen“ ist es der Stahlindustrie mehr und mehr gelungen, Importe als negativ, schädlich und bekämpfenswert darzustellen. Teile der Presse und der Politik haben diese wettbewerbsfeindliche Haltung unreflektiert übernommen. Dieser Trend könnte sich im Zuge der Diskussion um eine CO2-Grenzabgabe noch verstärken. Schon jetzt sind Versuche zu erkennen, den in der EU hergestellten Stahl pauschal als „grün“ und den importierten Stahl pauschal als „dreckig“ darzustellen. Der gestiegene CO2-Preis in der EU, den viele Stahlunternehmen noch gar nicht zahlen, wird plötzlich neben den Importen als Ursache jedes Übels ausgemacht. Dies hat zwar nichts mit der Realität zu tun, ist aber bequem und könnte durchaus auf fruchtbaren politischen Boden fallen.
Im Ergebnis könnten Stahlimporte am Ende mit einer undifferenziert hohen „Klima-Import-Steuer“ belegt werden, für die sich bestimmt noch ein wohlklingender Begriff finden lässt. Der Wettbewerb würde eliminiert, die Stahlpreise in der EU würden steigen. So würde das Problem der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf die stahlverarbeitende Industrie verlagert, die dann erst einmal der Dumme wäre. Zudem ist es höchst umstritten, ob eine ökologisch motivierte Importabgabe mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO in Einklang steht. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wäre damit zu rechnen, dass die einseitige Einführung eines solchen Instrumentes durch die EU die weltweite Protektionismus-Welle noch beschleunigen würde. Das kann die exportorientierte deutsche Industrie am allerwenigsten gebrauchen. Für Stahlverarbeiter heißt es also, in der beginnenden Diskussion sehr wachsam zu sein.
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult.
Foto: StahlmarktConsult, Fotolia
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