Für wen tickt die Uhr? Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Überschuldung bis 31.12.2020 verlängert

 

Von Rechtsanwalt/ Fachanwalt für Insolvenzrecht Dr. Volker Hees, Partner der Sozietät Hoffmann Liebs Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Düsseldorf

 

Der Bundestag hat diesen Monat beschlossenn, dass die eigentlich zum 30. September 2020 befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nochmal bis Jahresende verlängert wird. Das gilt allerdings nur für die Überschuldung, für zahlungsunfähige Unternehmen gilt dagegen bereits ab 1. Oktober 2020 wieder altes Recht. Das führt zu vermehrter Betriebsamkeit, denn bei bestehender oder eintretender Zahlungsunfähigkeit hat jeder Geschäftsführer nur max. 21 Tage Zeit, Insolvenzantrag zu stellen.

Der Gesetzgeber gibt damit insolvenzgefährdeten Unternehmen, die COVID-19-bedingt überschuldet, aber zahlungsfähig sind, nochmal bis 31. Dezember 2020 Zeit, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren, um damit eine drohende Insolvenz im neuen Jahr abzuwenden. Wir erklären, für wen jetzt die Uhr tickt.

 

Seit März ist die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt

Im März wurde mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ (COVInsAG) die in § 15a InsO geregelte Pflicht, bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit binnen einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen, rückwirkend ab 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 ausgesetzt (§ 1).

 

Ab wann gilt jetzt die Insolvenzantragspflicht?

Mit dem neuen Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes wird nun die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht allein wegen Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Wer überschuldet, aber zahlungsfähig ist, muss weiterhin keinen Insolvenzantrag stellen. In dieser Zeit ist auch die persönliche Haftung des Geschäftsleiters für Zahlungen nach Überschuldung weiter ausgesetzt. Ebenso gelten die oben dargelegten Einschränkungen der Insolvenzanfechtung und die Erleichterungen für Darlehensgeber weiter. Anders dagegen bei Zahlungsunfähigkeit: Ab 1. Oktober 2020 sind alle zahlungsunfähigen Unternehmen wieder zur unverzüglichen Insolvenzantragstellung verpflichtet. Hier gelten auch wieder die allgemeinen Haftungs- und Anfechtungsregeln. Das gilt selbst dann, wenn sie bis Ende September nicht antragspflichtig waren, weil ihre Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte und Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestanden. Wer also nicht mehr in der Lage ist, seine laufenden Kosten und Verbindlichkeiten zu decken, soll Insolvenzantrag stellen.

 

Die weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt jedoch nur noch bis zum 31. Dezember 2020. D.h., ab 1. Januar 2021 werden auch alle Unternehmen, die bis dahin ihre Überschuldung nicht beseitigen konnten, sprich deren Fortführungsprognose weiterhin negativ ist, ebenfalls insolvenzantragspflichtig.

 

Für wen gilt die Insolvenzantragspflicht?

Die nunmehr wieder relevant werdende Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) gilt für alle Organe juristischer Personen, wie z.B. GmbH, AG, Genossenschaft und auch GmbH & Co. KG gleichermaßen. Die Antragspflicht gilt lediglich nicht für Geschäftsleiter von OHG, KG oder Einzelkaufmann, wo eine natürliche Person haftet. Die Organe haben bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich, spätestens aber innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. D.h., jeder Geschäftsleiter hat also nur max. 21 Tage Zeit, eine etwaige Liquiditätslücke zu schließen.

 

Persönliche Haftung bei Insolvenzverschleppung

Stellt ein Geschäftsleiter einen Insolvenzantrag gar nicht oder verspätet, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet war, gibt es regelmäßig ein „böses Erwachen“: Jeder Geschäftsleiter kann in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden für alle Zahlungen, die von seinem Unternehmen noch nach Eintritt der Insolvenzreife, also nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit (ab 1. Oktober 2020) oder Überschuldung (ab 1. Januar 2021) geleistet werden (z.B. nach § 64 GmbHG). Das kann mitunter existenzbedrohende Ausmaße annehmen, je nachdem für welchen zurückliegenden Zeitraum der Insolvenzverwalter Insolvenzreife bejaht. Wichtig ist hier auch der Hinweis, dass mittlerweile die sog. D&O-Versicherungen regelmäßig nicht mehr solche Haftungsansprüche wegen Zahlungen nach Insolvenzreife abdecken; jeder Geschäftsleiter sollte daher die aktuelle Police überprüfen.

 

Wie kann Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung beseitigt werden?

Krisenunternehmen haben die Möglichkeit, unter Inanspruchnahme vor allem staatlicher Unterstützungsleistungen sowie im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen mit Gläubigern wie Vermietern, Banken und Lieferanten die vorgenannte Insolvenzantragspflicht zu verhindern bzw. wieder zu beseitigen. Je früher sie damit beginnen, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Bekannteste Beispiele sind

  • das Kurzarbeitergeld (KUG)
  • diverse Förder- und Überbrückungskredite der Landesbanken
  • Soforthilfe-Programme
  • Stundungsmöglichkeiten bei Mieten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen
  • Kreditzusagen Dritter oder der Gesellschafter
  • Stundungen und Ratenzahlungsvereinbarungen bei sonstigen Verbindlichkeiten
  • Rangrücktrittserklärungen bei Gesellschafterdarlehen, Patronatserklärungen
  • strikte Überwachung des eigenen Forderungseinzugs, ggfs. zukünftige Verkürzung der Zahlungsziele bzw. Umstellung auf Vorkasse zwecks kurzfristiger Liquiditätsgewinnung.

 

Übertragende Sanierung oder Eigenverwaltung?

Ein Insolvenzantrag ist i.d.R. nicht das Ende. Wird ein Regelinsolvenzverfahren eingeleitet, bestellt das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter. Dieser wird den Geschäftsbetrieb samt Mitarbeiter an einen Investor zu veräußern suchen (sog. übertragende Sanierung) und dafür einen M&A-Prozess aufsetzen. Der Verkauf erfolgt als „Asset Deal“ ohne die Schulden. Investoren haben auf diese Weise die Möglichkeit, kostengünstig und unterstützt durch Personal- und Kostenmaßnahmen des Insolvenzverwalters ein saniertes Unternehmen zu übernehmen.

Das Unternehmen kann sich aber auch selbst sanieren: Denn seit 1. März 2012 bietet die Insolvenzordnung jedem Unternehmen die Möglichkeit, unter gerichtlicher Aufsicht einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend in Abstimmung mit den Gläubigern umgesetzt werden kann. Gleichzeitig wird das Unternehmen für den Zeitraum der Sanierung dem unmittelbaren Zugriff seiner Gläubiger entzogen, etwaige Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern und Behörden werden eingestellt/ausgesetzt. Ein Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) kommt bereits dann in Betracht, wenn lediglich Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Die Eigenverwaltung (§ 270a InsO) ist auch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung möglich. Ein Verfahren dauert erfahrungsgemäß sechs bis zehn Monate und ist in allen Branchen sowie bei Unternehmen aller Art und Größe durchführbar.

 

Praxishinweis

Geschäftsleiter, deren Unternehmen kriseln oder bereits insolvenzgefährdet sind, sollten sofort einen Finanzplan aufstellen, um festzustellen, ob Zahlungsunfähigkeit besteht oder ab 1. Oktober 2020 eintreten könnte. Zudem sollte für das Unternehmen eine belastbare Fortführungsprognose mit Ergebnis- und Liquiditätsplanung aufgestellt werden, ob Überschuldung besteht oder ab 1. Januar 2021 eintreten könnte. Je nach Finanzlage sind sofort Sanierungsoptionen zu prüfen.

 

Foto: Sozietät Hoffmann Liebs Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Düsseldorf sowie Fotolia

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