Flachstahlmarkt: Niedrigere Preise nach der Sommerpause?
von Our guest commentary
Leverkusen, den 29.06.2016 -Noch zum Ende des zweiten Quartals war am EU-Flachstahlmarkt die Erwartung weit verbreitet, dass es nach der Sommerpause zu spürbaren Preisrückgängen kommen würde. Dafür sprachen nicht nur die Erfahrungen der vergangenen Jahre, sondern auch die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Marktinformationen. Aus Einkäufersicht haben sich aber in den Sommermonaten mehrere Faktoren unerwartet negativ entwickelt. Niedrigere Preise sind daher zunehmend unwahrscheinlich geworden.
Die Rohstoffpreise haben sich im bisherigen Verlauf des dritten Quartals deutlich stärker gezeigt, als es überwiegend von Expertenseite erwartet worden war. Die Spotmarktpreise für nach China geliefertes Feinerz bewegten sich im August weitgehend etwas oberhalb der Marke von 60,- $/dmt. Im Monatsmittel könnte ein neuer Jahreshöchstwert erreicht werden. Ein gänzlich unerwarteter, kräftiger Anstieg war in den vergangenen Wochen bei den Preisen für Kokskohle zu beobachten. Im Monatsverlauf sind die Preise für hochwertige Güten um ca. 30% auf ca. 130,- $/t fob Australien angestiegen. Als Gründe dafür werden eine eingeschränkte Produktion sowie logistische Probleme nach schweren Regenfällen in einigen Regionen Chinas genannt. Dadurch sei die chinesische Nachfrage am Weltmarkt gestiegen, während vor allem das nordamerikanische Angebot gesunken ist.
Die im StahlmarktConsult-Modell berechneten Rohstoffkosten der Hochofenroute sind nach einem Rückgang von Mai auf Juni wieder gestiegen. Sie dürften im August den im Mai erreichten vorigen Jahres-Höchststand überschreiten. Die von der Rohstoffseite ausgehenden Signale haben sich somit in kurzer Zeit erneut gedreht. Dies unterstreicht die wieder gestiegene Volatilität, die nicht zuletzt auf die vor allem in China enorm starken Finanzmarkteinflüsse zurückzuführen ist.
Ähnliches gilt für den chinesischen Stahlmarkt, der sich in den vergangenen Wochen überraschend robust gezeigt hat. Sowohl die Inlands- als auch die Exportpreise für Warmbreitband sind in den Sommermonaten wieder angestiegen und haben ungefähr das Niveau von Mai erreicht. Von dieser Entwicklung ausgehend, war auch bei den internationalen Exportnotierungen in den vergangenen Wochen ein moderater Anstieg zu beobachten.
Die Frage ist müßig, ob in China die Stahlpreise die Rohstoffpreise befeuern, oder ob es umgekehrt ist. Auch wie lange diese Entwicklung angesichts eher schwacher Fundamentaldaten anhält, muss abgewartet werden. Die Lage ist keinesfalls stabil, so dass Rückschläge möglich bleiben. Aktuell geht von diesen Faktoren für die hiesigen Flachstahlpreise jedenfalls ein gewisser Aufwärtsdruck aus.
In den eher nachrichtenarmen Sommermonaten bestimmten am EU-Markt Neuigkeiten aus Brüssel die Szene. Und die dürften den Stahlherstellern der EU durchweg gefallen haben: auf die Einleitung einer neuen Antidumpinguntersuchung bezüglich Einfuhren von warmgewalzten Flacherzeugnissen mit Ursprung in Brasilien, Iran, Russland, Serbien und der Ukraine im Juli folgte im August die endgültige Entscheidung im Antidumping-Verfahren gegen Einfuhren von kaltgewalzten Blechen aus China und Russland. Wie erwartet wurden die Zollsätze im Vergleich zur vorläufigen Entscheidung merklich erhöht. Sie liegen für chinesische Anbieter nun zwischen 19,7 und 22,1% und für Material aus Russland zwischen 17,7 und 36,1%. Die Zölle werden rückwirkend ab Dezember 2015 erhoben. Danach hat die EU-Kommission eine mit Wirkung vom 11.08.2016 gültige Pflicht zur zollamtlichen Erfassung von Grobblech-Einfuhren aus China verordnet, um im laufenden Antidumping-Verfahren ggf. auch Zölle rückwirkend verhängen zu können. Bei kaltgewalzten Flacherzeugnissen aus rostfreiem Stahl mit Ursprung in Taiwan hat die EU die im Vorjahr abgeschlossene Antidumpinguntersuchung wieder aufgenommen, da die beabsichtigte Wirkung der geltenden Zölle untergraben worden sei.
Die im Stahlbereich zunehmend protektionistische Außenhandelspolitik der EU zeigt immer mehr Wirkung. Im Juni lagen die EU-Flachstahlimporte erstmals niedriger als im Vorjahresmonat und verzeichneten einen kräftigen Rückgang um 30%. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Monaten fortsetzen. Der für EU-Hersteller von Importen ausgehende Wettbewerb ist schon jetzt sehr begrenzt.
Die EU-Hersteller werden versuchen, die für sie günstigeren Rahmenbedingungen zu nutzen. Dazu gehört auch die weiterhin proklamierte gute eigene Auslastung. Diese wird zusammen mit den gerade bei Flachstahl teilweise zu hörenden Meldungen über „technische Schwierigkeiten“ und lange Lieferzeiten immer mehr zum Rätsel. Zwar hat der Auftragseingang der Werke im zweiten Quartal ein hohes Niveau erreicht. Dennoch liegt der für dieses Jahr in der EU erwartete Stahlbedarf von 153 Mio. Tonnen immer noch fast 50 Mio. Tonnen oder 25% unter dem Spitzenniveau von 2007.
Es ist wahrscheinlich, dass für Flachstahlerzeugnisse demnächst höhere Preise gefordert werden. Inwiefern diese tatsächlich realisiert werden können, bleibt vor dem Hintergrund des bereits im ersten Halbjahr erreichten Preisanstiegs abzuwarten. Obwohl nach wie vor innerhalb der EU eine Entspannung der Angebots-Nachfrage-Relation zu erwarten ist, wäre es keine Überraschung, wenn die Preise in den kommenden Wochen steigen statt zu sinken. Für Stahleinkäufer bleibt es damit ungemütlicher als im Vorjahr.
Direkter Link zum Blogbeitrag: http://www.stahlmarktconsult.de/blog?view=entry&id=72
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult
Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.