„Es ist unser Anspruch, weiter bahnbrechende Technologien zu entwickeln."
von Dagmar Dieterle
Dr. Henrik Adam, Chief Commercial Officer bei Tata Steel in Europa, spricht im Interview über Veränderungen in der Stahlindustrie, Strategien zur Nachhaltigkeit und die Vision, ein CO2-neutraler Stahlproduzent zu werden.
Die Rolle der Stahlindustrie ändert sich kontinuierlich. Es entstehen neue Produkte und es ändern sich Anforderungen an bestehende Produkte. Was bedeuten diese Veränderungen für Tata Steel? Wie gehen Sie mit diesen Veränderungen um?
Ich glaube, wir wären heute nicht mehr am Markt, wenn wir es nicht geschafft hätten, uns immer wieder und auch bewusst an veränderte Bedingungen anzupassen. Unsere großen Standorte sind immerhin schon über 100 Jahre alt. Und selbst die letzten zehn Jahre haben uns Veränderungsmöglichkeiten aufgezeigt, bei denen wir uns immer wieder anpassen mussten. Wenn ich überlege, wie unser Werk im englischen Port Talbot vor einem Jahrzehnt aufgestellt war und wie es heute aufgestellt ist, kann man ganz konkret sehen, wie sehr wir hier unsere Prozesse verbessert haben.
Dieser Anpassungsprozess hat natürlich ganz unterschiedliche Facetten: Wie gehen wir nachhaltig mit Rohstoffen um? Wie machen wir die Produktion noch sauberer? Wie sind Arbeitsplätze sicher gestaltet? Und wie schaffen wir es, auf die veränderten Bedürfnisse unserer Kunden einzugehen?
Ich denke, dass uns in den nächsten Jahrzehnten vor allem das Thema des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen immer wieder Aufgaben mit auf den Weg geben wird. Hierbei denke ich sowohl an Ressourcen im Sinne von Rohstoffen als auch im Sinne von Mitarbeiterbindung und Umweltbewusstsein. Ich bin mir sicher, dass es hier Aufgaben geben wird, die wir heute noch gar nicht sehen und für die wir heute auch noch gar keine Lösungen haben.
Das bringt uns gleich zur nächsten Frage. Kunden stellen die Nachhaltigkeit immer mehr in den Mittelpunkt. Manchmal ist Nachhaltigkeit inzwischen sogar das Eingangstor für neue Projekte. Was heißt das für Tata?
Wir haben in allen vier einzelnen Kundengruppen, die wir bedienen – also der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, dem Baubereich und dem Packaging – von den großen und für uns besonders wichtigen Kunden die Anforderung, mit ihnen beim Thema Nachhaltigkeit eng zusammenzuarbeiten. Dieser Anforderung stellen wir uns nicht nur aus Notwendigkeit, sondern gerade auch aus Überzeugung heraus. Die verschiedenen Bedürfnisse unserer Kunden wirken dabei auf den ersten Blick sehr divers und sind auch noch nicht in allen Bereichen vollumfänglich. Die Vorgehensweise, die wir als durchgängiges Bild sehen, folgt aber immer einem vergleichbaren Ansatz. Zunächst stellen sich unsere Kunden die Frage: Was sind überhaupt die Themenfelder, mit denen ich mich beschäftigen muss? Wie kann ich diese Themen über die gesamte Lieferkette hinweg transparent machen und wirklich beurteilen und bewerten? Wie kann ich einzelne Vorgänge in der Lieferkette überprüfen? Und wie kann ich diese Vorgänge auch transparent darstellen und darüber berichten?
Die Anforderungen an den Bereich Nachhaltigkeit folgen immer mehr oder weniger diesem Schema, auch wenn die Einzelanforderungen kundenbezogen sind. Mir ist es deshalb lieber, dass wir uns in der gleichen Weise weiterentwickeln können. Wenn wir zeigen können, dass unsere Supply Chain nachhaltig ist, sind sich unsere Kunden sicher, dass sie das auch ihren Kunden sagen können. Diesen Prozess haben wir angestoßen und er benötigt Zeit. Wir müssen schließlich Investitionen tätigen sowie Prozesse und Verfahren implementieren, die unsere Kunden testen müssen.
Alleine die Vorlaufzeit bei einem Neuinvest beträgt zwei bis drei Jahre. Umso wichtiger ist es, dass wir uns die Aufgaben im Bereich der Nachhaltigkeit langfristig anschauen; ohne einen vorgegebenen Standard, aber durchaus nach einem festen Muster. Ich denke, dass wir hier sukzessive den Weg finden müssen, wie wir das Unternehmen Tata Steel analysieren, verfolgen, auditieren und reportieren können. Auf diesem Weg sind wir bereits, und zwar nicht aus Kundenzwang heraus.
Stichwort: Lieferkette. In der Lieferkette gibt es eine Vielfalt von Risiken bei der Verletzung von Umwelt- und Menschenrechten. Wie identifizieren Sie hier Schwachstellen? Und wie können Sie Handlungskonsequenzen für Tata Steel einleiten?
Wir sehen uns alle Themenbereiche entlang unserer Lieferkette an, die potenziell kritische Themen beinhalten. Manchmal stellt man fest: Hier gibt es kein kritisches Thema, weil das entsprechende Problem schon gelöst wurde. Oder weil es Mechanismen gibt, die helfen, das Problem schon vorab zu vermeiden. Um andere Themen müssen wir uns kümmern. In diesem Fall folgen wir der Lieferkette, die im Bereich unserer gefühlten Verantwortung liegt, und versuchen dann entlang von ihr Möglichkeiten zu identifizieren. Das können beispielsweise Institutionen sein oder Dinge, die wir selbst ins Leben rufen, von Lieferanten abfordern oder auch vorschlagen, diese zu definieren. Solche Standards müssen wir natürlich regelmäßig überprüfen. Nur das gibt uns am Ende die Gewissheit, dass alles so abläuft, wie es ablaufen soll.
Beim Thema Zinn gehen wir zum Beispiel gemeinsam mit einem Kunden auf diese Weise vor, weil sich dort ein gemeinsames Verständnis im Umgang mit drei wichtigen Lieferantenketten ergeben hat. Wir haben uns also mit unseren beiden engsten Partnern in diesem Bereich, den Dosenherstellern und den Befüllern, zusammengesetzt und überlegt: Wo kommt unser Zinn her? Der meiste Zinn kommt aus dem Kongo, also einem potenziellen Konfliktgebiet. Wir haben daher mit dem Label „Konflitkfrei“ eine Lösung entwickelt, welche diese Problematik konkret anspricht und gleichzeitig sicherstellt, dass der Rohstoff nur aus konfliktfreien Gebieten erworben wird. Genauso gehen wir bei anderen Rohstoffen vor, bei denen man sich die Lieferketten und die Herkunftsregionen ebenfalls ganz genau anschauen muss, wie etwa Zink oder Lithium.
Gleichzeitig bieten sich für uns auch Möglichkeiten durch anerkannte Akkreditierungsprogramme wie BES 6001. Hierbei handelt es sich um ein unabhängiges Zertifikat über verantwortungsvolle Beschaffung, das sowohl unsere Lieferkette als auch unsere Werke abdeckt. Das reicht vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt. Unser gesamtes Portfolio für Stahlbau aus Großbritannien unterliegt diesen hohen Standards von BES 6001. Es ist weltweit das umfassendste Sortiment von verantwortungsvoll beschafften Produkten eines Stahlherstellers. Das zeigt, wie innovativ es ist.
Diese Produkte wie bandbeschichte Stähle, Hohlprofile und isolierte Paneele verkaufen wir auf der ganzen Welt. Und wir sind gerade dabei, dieses führende Zertifikat auch auf unsere Werke auf dem europäischen Festland auszuweiten.
Ihr Büro ist in den Niederlanden. Ganz konkret: Wie reagieren sie aus den Niederlanden heraus, um Umwelt und Menschen zu schützen. Können Sie Institutionen und Regierungen ansprechen, wenn es darum geht Missstände aufzudecken?
Wir sind zum Beispiel an unserem Standort in IJmuiden einer der großen lokalen Arbeitgeber. Das bedeutet, dass wir eine wichtige Stütze des Wirtschaftslebens sind und gewissermaßen Standards vorgeben. Wir ziehen daraus eine große Eigenverantwortung, die wir auch leben. Wir müssen uns dabei fragen: Wie können wir als Werk in den Niederlanden oder in Großbritannien unseren eigenen hohen Standards gerecht werden? Da geht es dann nicht so sehr um lokale Abstimmung, sondern um globale Zusammenarbeit.
Andere Themen kann man aber durchaus auch lokal angehen. So haben wir beispielsweise in den Niederlanden eine lokale Vereinbarung mit der dortigen Metallindustrie sowie mit Zinkherstellern und Kupferlegierungs-Lieferanten. Wir arbeiten aber auch mit Arbeitnehmervertretern und NGOs daran, einen Kodex zu finden, wie wir speziell bei Themen, die man lokal behandeln kann, aktiv werden können. Das versuchen und tun wir bei all unseren Werken. Und zwar nicht nur, um Anforderungen zu erfüllen, sondern um darüber hinaus zu gehen und Standards zu setzen.
Eine solche Zusammenarbeit leben wir in vielen Feldern. Unser Geschäft macht ja die Kombination aus globalen Themen uns sehr regionalen Herausforderungen aus. Daher ist es wichtig, gut entlang dieser beiden Dimensionen „global“ und „regional“ zu kommunizieren. Dabei kann es durchaus lokale Themen geben, die sich unserer Meinung nach eher auf einer globalen Ebene lösen lassen.
Ein ganz profanes Beispiel sind Arbeitshandschuhe. Die sind für alle Unternehmen ein riesiges Thema. Da brauchen wir keinen Arbeitskreis für ein einzelnes Werk zu gründen, sondern greifen auf Wissen aus dem weltweiten Konzern zurück. Ähnlich stellen wir uns so auch wesentlich komplexeren Themen, wo wir vor der Herausforderung stehen, lokale Dinge global zu kommunizieren.
Kommen wir zu einem anderen Thema. Donald Trump führt ja gerade alle möglichen Zölle ein. Sie liefern als Tata Steel Europe auch ein großes Volumen in die USA. In wieweit sind Sie von den neuen US-Zöllen betroffen? Oder beruht Ihr US-Geschäft zurzeit noch auf alten Lieferverträgen, bei denen die Bedingungen klar sind?
Die US-Regierung hat sich leider sowohl bei unseren Lieferungen aus den Niederlanden als auch bei denen aus Großbritannien dafür entschieden, die Umsetzung die Zölle der US Section 232 aus Gründen der nationalen Sicherheit fortzusetzen. Wir sind für freien und fairen Handel. Und wir glauben daran, dass Verhandeln der Schlüssel dazu ist, Konflikte zu lösen. Daher fordern wir auch weiterhin von der Europäischen Kommission, dass sie im Dialog mit den USA bleibt, um diese Entscheidung rückgängig zu machen oder für unsere Kunden Ausnahmen zu erreichen.
Zudem können die USA ja einige Stahlprodukte gar nicht selber herstellen.
Ja, das ist der nächste Punkt. Wenn unsere Kunden das, was sie lokal benötigen, auch lokal kaufen könnten, hätten wir nicht über einen solch langen Zeitraum Kunden in den USA. Wir haben hier Geschäftspartner, zu denen wir seit über 50 Jahren eine Lieferbeziehung haben. Wenn es dort eine gleichwertige Technologie vor Ort geben würde, hätten uns unsere Kunden sicherlich nicht so lange die Treue gehalten. Und gerade deshalb unterstützen wir unsere Kunden darin, Ausnahmeregelungen zu bekommen. Hier gibt es einen gewissen Stau an Ausnahmen und wir sind natürlich froh, dass wir für gewisse unserer Produkte Ausnahmen erzielen konnten. In der großen Masse regelt aber der Markt die Preise.
Und wie sehen Sie die zukünftige Preisentwicklung in Europa?
Bei uns ist die Abhängigkeit von Rohstoffen sehr noch. Aktuell gibt es für mich kein Indiz, dass sich die Kostensituation dort entspannt. Ich sehe eher die Möglichkeit, dass die Preise eventuell noch nach oben gehen. Da haben wir aber zurzeit noch keine sicheren Prognosen, mit denen wir die Preise für unsere Kunden sicher voraussagen können. Ich denke allerdings, dass es derzeit der günstigste Fall wäre, wenn die Preise auf dem Niveau bleiben, auf dem sie heute sind.
Wenn Sie einen Wunsch freihätten, unabhängig von Preispolitik oder Donald Trump, was würden Sie sich für 2019 wünschen?
Ich wünsche mir für mich persönlich, aber gerade auch für unsere Industrie, dass wir die richtigen Weichen stellen, um auch 2050 noch Stahl in Europa produzieren zu können. Wir sind schon heute einer der CO2-effizientesten Stahlhersteller weltweit. Und wir wollen noch besser werden. Es ist unsere Vision, ein CO2-neutraler Stahlproduzent zu werden. Und auf diesem Weg hin zu einem kohlenstoffneutralen Stahlhersteller ist es unser Ziel, unsere CO2-Emissionen vor 2050 um 80% zu verringern. Dieser Weg wird nicht leicht. Und es ist unser Anspruch, weiter bahnbrechende Technologien zu entwickeln, die unsere Zukunft prägen. Wir werden Innovationen fördern und entwickeln, die das Potenzial haben, die Art Weise zu verändern, wie Stahl produziert wird.
Die Verantwortung, die wir besonders als Führungskräfte haben, ist es doch, dass auch die nachfolgenden Generationen noch sicher in Europa arbeiten können. Für mich ist dabei wirtschaftlicher Erfolg durchaus mit Produktionsleistung verbunden. Um diesen Erfolg zu erreichen, müssen wir den richtigen Weg ebnen. Und das müssen wir insbesondere als Führungskräfte tun. Ich denke gerade mit zunehmendem Alter ist das für mich der Treiber, der mich voranbringt. Und dieser Treiber kommt für mich noch vor kurzfristigen Preisverhandlungen oder der Entwicklung neuer Produkte. Ich gebe zu, das ist ein recht abstraktes Ziel. Konkret bedeutet das aber: Mich interessiert das Thema Nachhaltigkeit und das Thema Fairness, aber nicht zuletzt auch das Thema Generationenvertrag, von dem auch ich in meiner Entwicklung profitiert habe.