Drei Sofortmaßnahmen für eine sichere und wettbewerbsfähige Gasversorgung
von Dagmar Dieterle-Witte

Die deutsche Energieversorgung steht vor einem Wendepunkt: Nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre hat sich der Gasmarkt 2024 zwar stabilisiert, doch wesentliche Herausforderungen bleiben bestehen. Die energieintensive Industrie steht weiterhin unter massivem Druck, die Strompreise sind hoch und Wind- und Sonnenenergie benötigen aufgrund ihres volatilen Charakters eine Absicherung durch flexibel steuerbare Gaskraftwerke, die künftig klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden. Wichtige Zukunftstechnologien wie Wasserstoff oder Carbon Capture and Storage (CCS) sind noch nicht ausreichend etabliert. Zudem fehlt es an klaren politischen Rahmenbedingungen, um eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung langfristig zu gewährleisten. Gas bleibt daher auch in einem künftig klimaneutralen Energiesystem ein wesentlicher Bestandteil. Es dient nicht nur als flexible Absicherung für wetterabhängige erneuerbare Energien, sondern bildet auch eine essenzielle Brücke für den Markthochlauf von Wasserstoff und die Dekarbonisierung der Industrie. Doch damit dies umgesetzt werden kann, braucht es jetzt klare politische Signale. Daher fordern wir als Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft drei zentrale Sofortmaßnahmen:
- die sichere Transformation der Stromversorgung durch den Zubau neuer Kraftwerkskapazitäten
- den Aufbau langfristiger Importpartnerschaften für Gas und Wasserstoff
- die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für CCS
Sichere Transformation der Stromversorgung sicherstellen
Der geplante Kohleausstieg und das Ende der Kernkraft haben die Bedeutung von Gaskraftwerken als Rückgrat der Stromversorgung noch einmal deutlich gemacht. Besonders in Zeiten von Dunkelflauten sind sie unverzichtbar, um Schwankungen bei Wind- und Solarenergie auszugleichen. So deckten Gaskraftwerke in der Kalenderwoche 45 des vergangenen Jahres etwa 27 Prozent des Stromverbrauchs, während Wind- und Solarstrom zusammen nur 14 Prozent des Strommixes ausmachten. Trotz dieser Schlüsselrolle fehlt es an politischen Rahmenbedingungen für den dringend benötigten Ausbau neuer Gaskraftwerke, die langfristig gesehen mit Wasserstoff betrieben werden können, nur mit ihnen können wir flexibel auf Marktschwankungen reagieren und die Energiewende absichern. Notwendig ist daher eine sofortige Ausschreibung neuer Kraftwerkskapazitäten. Zusätzlich braucht es einen Kapazitätsmarkt, wie er in anderen Ländern existiert, um Investitionen in gesicherte Leistung zu fördern und die langfristige Versorgungssicherheit zu garantieren.
Langfristige Lieferbeziehungen aufbauen
Nach den extremen Preissteigerungen infolge des Ukraine-Krieges hat sich der europäische Gasmarkt zwar stabilisiert, doch das Preisniveau bleibt weiterhin hoch – das setzt insbesondere die deutsche Industrie unter Druck. Während sich der europäische Großhandelspreis 2024 zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde einpendelte, war er immer noch drei bis viermal höher als der amerikanische Referenzpreis. Diese Preisunterschiede setzen deutsche Unternehmen massiv unter Druck. Besonders die energieintensive Industrie gerät ins Hintertreffen, da sie auf wettbewerbsfähige Energiepreise angewiesen ist. Deutschland verfolgt aktuell eine kurzfristige Beschaffungsstrategie und verzichtet weitgehend auf langfristige Lieferverträge mit internationalen Partnern. Dies macht das Land anfällig für Marktschwankungen und Preisvolatilitäten. Gleichzeitig verunsichern politische Debatten über einen möglichen Gasausstieg potenzielle Lieferanten, die daher zögern, langfristige Verträge mit Deutschland einzugehen.
Die neue Bundesregierung muss eine verlässliche Importstrategie entwickeln – sowohl für Erdgas als auch für Wasserstoff. Langfristige Partnerschaften mit wichtigen Exportländern sind wesentlich, um Versorgungssicherheit und stabile Preise zu gewährleisten. Doch dafür braucht es politische Rückendeckung.
Die neuen LNG-Terminals an der Nord- und Ostseeküste haben bereits zu einer besseren Diversifikation beigetragen, doch ein Großteil der deutschen LNG-Beschaffung erfolgte im letzten Jahr weiterhin über die Häfen in Belgien und den Niederlanden. Um die inländischen Terminals weiter zu stärken, ist eine gezielte politische Unterstützung erforderlich.
Carbon Management als Schlüssel zur industriellen Dekarbonisierung voranbringen
Einige Industrien werden auch künftig CO2 emittieren, insbesondere wenn diese Emissionen prozessbedingt nicht vermeidbar sind. CCS ist daher notwendig, um Industrieemissionen signifikant zu reduzieren und gleichzeitig die Produktion in Deutschland zu sichern. Trotz der Bedeutung von CCS für das Erreichen der Klimaziele gibt es in Deutschland jedoch immer noch keine klare gesetzliche Grundlage für den Einsatz dieser Technologie. Während Länder wie Norwegen und die Niederlande bereits große CCS-Projekte realisieren, herrscht in Deutschland politische Unsicherheit. Unternehmen, die bereit wären zu investieren, sind durch fehlende gesetzliche Regelungen ausgebremst. Ohne CCS fehlen vielen Industriebetrieben realistische Optionen zur Dekarbonisierung. Um Planungssicherheit zu schaffen, muss die neue Bundesregierung dringend zwei Maßnahmen umsetzen: Zum einen die Verabschiedung eines Kohlendioxid-Speichergesetzes, um Unternehmen konkrete Projekte für CO₂-Speicherung zu ermöglichen. Und zum anderen die Ratifizierung des London-Protokolls, um CO₂-Exporte ins Ausland zu legalisieren. Auch für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft bleibt CCS wichtig. Blauer Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird und bei dessen Herstellung die CO₂-Emissionen gespeichert werden, dient als Brückentechnologie, bis ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar ist. Länder wie die USA oder Kanada setzen bereits erfolgreich auf diesen Ansatz. Deutschland droht ohne klare Regelungen im internationalen Wettbewerb zurückzufallen.
Die Zeit für Entscheidungen ist jetzt
Deutschland steht vor einer entscheidenden Phase der Energiepolitik. Die Weichen für eine sichere, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Energieversorgung müssen jetzt gestellt werden. Die kurzfristige Ausschreibung neuer Gaskraftwerke ist essenziell, um die Stromversorgung zu sichern. Eine verlässliche Importstrategie für Gas und Wasserstoff ist notwendig, um Preisstabilität zu gewährleisten. Und schließlich muss die Politik beim Carbon Management handeln, damit Unternehmen in zukunftsweisende Technologien investieren können. Diese Entscheidungen dürfen nicht länger aufgeschoben werden. Die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Energiezukunft müssen jetzt geschaffen werden: Es ist Zeit zu handeln!
Fotos:
Foto: Dr. Timm Kehler: © Lotte Ostermann/DIE GAS- UND WASSERSTOFFWIRTSCHAFT
Gaphik: In Zeiten von wenig Sonnen- und Windenergie sind wir auf regelbare Stromkapazitäten angewiesen. Wasserstofffähige Gaskraftwerke können die Versorgungslücke schließen, die durch den Kohleausstieg entstehen wird. © DIE GAS- UND WASSERSTOFFWIRTSCHAFT
Foto: Im Project Greensand wurde 2023 erstmalig die gesamte CCS-Wertschöpfungskette grenzüberschreitend umgesetzt. Das Schiff „Aurora West“ brachte das CO2 aus Beglien zum Ölfeld Nini West. © Wintershall Dea