Die Energiemärkte in Zeiten der Coronakrise
von Our guest commentary
Die Marktpreisentwicklung bricht sämtliche Rekorde
Die weltweiten Erdgaspreise zeigen ein historisch niedriges Niveau
Bereits zu Jahresbeginn lagen die Gaspreise auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau. Geschuldet war dies einem umfangreichen Angebot an Gas via Pipelines, aber auch durch kontinuierlich hohe LNG-Zuflüsse nach Nordwesteuropa. Weltweit gingen viele neue LNG-Projekte in den letzten Jahren online, das Angebot wurde dadurch stark ausgeweitet, die weltweite Nachfrage hinkt noch immer hinterher. Hinzu kam einer der mildesten Winter seit der Wetteraufzeichnung, was sich auf die wärmebedingte Erdgasnachfrage auswirkte. Aufgrund des umfangreichen Angebots und der Preiskonstellation am Erdgasmarkt endete der Gaswinter mit rekordhohen Speicherfüllständen.
Die durch die Corona-Pandemie verordneten Bewegungseinschränkungen in Europa und deren negative Folge für die Wirtschaft machten auch vor dem Gasmarkt nicht Halt. In immer mehr Ländern wurde ein Rückgang der Industrie- und Gewerbenachfrage sichtbar. Dies belastete die Spotprodukte am Gasmarkt und führte zu neuen Rekordwerten.
Die frontnahen Produkte erhielten zusätzlichen Druck durch den Lockdown in Asien, insbesondere in Indien. Hierdurch kam es zu LNG-Umlenkbewegungen nach Europa und erhöhte das Angebot weiter.
Aufgrund der niedrigen Preise und Netbacks kam zu einem deutlichen Rückgang der US-LNG-Lieferungen ab Juni. Zwischen 30 und 40 LNG-Ladungen, die im Juni, Juli und August je an US-Exportterminals verladen werden sollten, sollen von Kunden storniert worden sein. Die US-Exporteure sind weitgehend durch feste Gebühren geschützt, die sie erhalten, wenn die Kunden ihre Mengen stornieren. Die Auslastung der sechs großen US-Verflüssigungsterminals lag zuletzt bei nur noch etwa 40%, basierend auf den Feedgaslieferungen.
Das geringere Angebot unterstützte die Gaspreise in Europa, genauso wie das Wiederaufleben der Nachfrage nach den Lockerungen der Bewegungseinschränkungen.
Abbildung 1: Verlauf der Tagesnotierungen am TTF (Title Transfer Facility) sowie die aktuelle PFC (Price-Forward-Curve) bzw. die PFC vom 2. Januar 2020
Contango beschreibt eine Preissituation bei Warentermingeschäften in der der Preis für Lieferung in der Zukunft (Terminkurs) über dem aktuellen Kassakurs liegt. Die sogenannte Futures-Kurve ist in dieser Situation typischerweise nach oben gerichtet, d. h., je später der Liefertermin ist, desto höher ist der Preis.
Die steile Contango-Situation am vorderen Ende der Kurve zeigt sehr schön, dass die Marktteilnehmer mit einer Erholung der Nachfrage und damit einer Verbesserung der Überversorgunglage im Laufe der Zeit rechnen (Abbildung 1).
Abbildung 2 verdeutlicht, dass die internationalen Preise momentan alle auf einem historisch einmalig niedrigen Niveau liegen.
Abbildung 2: Verlauf verschiedener Month-Ahead-Notierungen
Month-Ahead-Notierung Preisnotierung an einem Handelspunkt für ein Monatsband im kommenden Monat. |
Auch das hintere Ende der Kurve hat im Jahresverlauf an Wert eingebüßt – allerdings ist in Abbildung 1 gut zu erkennen, dass der Preisrückgang deutlich moderater ausfiel. In den folgenden Jahren soll das LNG-Angebot zwar noch weiter steigen – die Nachfrage aber auch, wobei das Nachfragewachstum im Großen und Ganzen auf den asiatischen Raum konzentriert bleibt. Somit gehen die großen Analysehäuser von einem Angleich von Angebot und Nachfrage in den nächsten Jahren aus und sehen somit wieder ein engeres Marktumfeld.
Für Europa gilt, dass der Rückgang der europäischen Produktion (insbesondere in den Niederlanden) durch zusätzliches Angebot gedeckt werden muss – hierzu werden zusätzliche Mengen aus Russland und weitere LNG-Mengen benötigt.
Auch andere Energiehandelspreise sind von der Pandemie betroffen
Die Preisentwicklungen an Handelsplätzen betreffen nicht nur einzelne Commodities. Auch Erdgas besitzt wechselseitige Interdependenz mit anderen Commodities, was nicht unterschätzt werden darf.
Man erkennt in Abbildung 3 sehr gut, dass alle hier dargestellten Commodities seit Jahresbeginn zwischenzeitlich deutlich an Wert eingebüßt haben. Der Ausreißer (im negativen Sinne) ist allerdings in diesem Jahr bislang Brent, die internationale Benchmark für den Ölpreis, der an seinem tiefsten Punkt Mitte April um rund 70 % an Wert verloren hat. Was ist hier passiert?
Abbildung 3: Verlauf der relativen Preisentwicklung ausgewählter Commoditys
Auch hier spielt die Corona-Pandemie eine entscheidende Rolle. Schon Anfang Februar stellten mehrere Fluggesellschaften ihre Flüge nach China ein und der größte Raffineriebetreiber Chinas (Sinopec) kündigte eine Reduzierung seiner Rohölverarbeitung an. Die OPEC geriet aufgrund des Preisverfalls unter Druck und brachte bei ihrem Treffen Anfang März eine weitere Produktionskürzung um 1,5 Mio. Barrel pro Tag ins Spiel. Diesem Vorschlag stimmte Russland nicht zu. Daraufhin kündigte Saudi Aramco an, seine Förderung im April bis an die mögliche Kapazitätsgrenze hochzufahren und verkündete massive Preisabschläge für die Abnehmer. Russland und weitere Produzenten gaben daraufhin ebenfalls Signale zur Produktionsausweitung. Das Konstrukt der OPEC+ zur Balancierung des Marktes war damit am Ende, ein Preiskampf in vollem Gange.
Postwendend brach der Ölpreis (Brent) massiv ein und verbuchte die größten Verluste der Geschichte und so dauerte es nicht lange, da waren Russland, die Opec und die USA bereit, gemeinsam die größte Produktionskürzung der Welt jemals zu vereinbaren: In den Monaten Mai und Juni wollen die Opec und Russland ihr Angebot um knapp 10 Millionen Barrel am Tag zurückschrauben. Weitere nicht OPEC-Länder kündigten ebenfalls Kürzungen an.
Wie erwartet konnten die neuen Kürzungsbeschlüsse des OPEC+ Kartells die Stimmung nicht drehen. "Zu wenig und zu spät" lautete das Urteil – die Ölpreise gaben weiter stark nach. Im April lag die weltweite Ölnachfrage knapp 30 Prozent unter dem Normalwert. Selbst wenn eine perfekte Umsetzung der Kürzungen gelänge, könnte sie das Volllaufen der Lager kaum stoppen. Die Lagerbestände in Cushing, Oklahoma (dem Lieferzentrum für WTI), waren nahezu voll. Weltweit machte sich Ratlosigkeit breit und es stellte sich die Frage: Wohin mit dem Öl? So wurden zum Beispiel deutlich mehr Öltanker als schwimmende Lager genutzt als zu normalen Zeiten.
Und dann kam es Anfang der 17. Kalenderwoche zu einer Premiere, die die Welt bewegte. Futures auf US-Rohöl der Sorte WTI (West Texas Intermediate) hatten einen negativen Preis. Das heißt, Händler, die einen solchen Kontrakt verkaufen wollten, mussten Käufer dafür bezahlen, den Kontrakt zu übernehmen.
Um den Preis unter null zu treiben, bedarf es einer Verpflichtung, wie sie in den US-Öl-Futures-Kontrakten formuliert ist, nämlich der Abnahme der Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt in Cushing, Oklahoma. Der Abnahmezeitpunkt der Ware lag im Mai, also zu einem Zeitpunkt als das Lager in Cushing der Erwartung nach schon nichts mehr aufnehmen konnte. Die entsprechenden Kontrakte wurden am Dienstag 21. April 2020 das letzte Mal gehandelt. Viele Kontrakthalter hatten gar kein Interesse an Öl. Sie besaßen die Futures nur, weil diese günstig zu erwerben waren und ihre Käufer einen Verkaufsgewinn wähnten. Dann mussten sie sie loswerden, um nicht zur Ölabnahme verpflichtet zu sein – koste es, was es wolle.
Während im April die Vereinbarung der größten Produktionskürzungen im Ölsektor die Preise nicht beflügelte, wirkte ab Mai die tatsächliche Umsetzung, so wie die Verlängerung der Kürzungsvereinbarung um einen Monat in Kombination mit der Erwartung einer steigenden Ölnachfrage klar unterstützend. Aufgrund der Lockerungsmaßnahmen in vielen Ländern sehen die Marktteilnehmer den Tiefpunkt bei der Ölnachfrage als durchschritten an.
Parallel zu Erdgas und Öl haben sich auch die Handelsnotierungen für Kohle, CO2-Zertifikate sowie Strom bewegt. Auch hier liegen die Gründe im Wesentlichen an den weltweiten Einschränkungen durch die Corona-Pandemie.
Autorin
Frau Sabrina Voll
Analystin bei VNG Handel & Vertrieb GmbH
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