CBAM-Einführung: Ein kapitaler Fehlstart

von Dagmar Dieterle

Seit Oktober 2023 läuft die Einführungsphase für das neu geschaffene CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) der EU. EU-Importeure der betroffenen Erzeugnisse sollen bis zum 31. Januar 2024 den ersten „CBAM-Report“ abgeben, mit dem die CO2-Emissionen der Waren der EU-Kommission zu berichten sind. In einem ersten Zwischenfazit muss man zu dem Schluss kommen, dass die Einführung des Systems – insbesondere in Deutschland – einem kapitalen Fehlstart gleicht. Während die Politik die dringende Notwendigkeit betont, überbordende Bürokratie in den Unternehmen abzubauen, sind dort Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern damit beschäftigt, sich im Dschungel der CBAM-Vorgaben zurechtzufinden.    

In diesem Beitrag geht es nicht um die Sinnhaftigkeit des CBAM an sich, an der aus guten Gründen gezweifelt werden kann. Vielmehr möchte der Autor, der in den vergangenen Monaten versucht hat, betroffene Unternehmen auf CBAM vorzubereiten, einige Eindrücke aus der Praxis wiedergeben. Es drängt sich dabei der Eindruck auf, dass Bürokraten in Brüssel und in Berlin an die Unternehmen, die CBAM umsetzen sollen, zuallerletzt gedacht haben. Die Einführung erfolgte übereilt, verursacht immensen Aufwand und führt in vielen Unternehmen zu rauchenden Köpfen. Dies wird an den folgenden Punkten deutlich.

Zu kurze Vorbereitungszeit

Nach der politischen Einigung im Dezember 2022 wurde die CBAM-Verordnung der EU am 16. Mai 2023 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie umfasst 53 Seiten.  Für viele Umsetzungsfragen verwies die Verordnung auf kommende Durchführungsverordnungen, die von betroffenen Unternehmen sehnlichst erwartet wurde. Die Verordnung für die im Übergangszeitraum zu beachtenden Detailregelungen wurde dann am 17. August 2023 veröffentlicht. Sie umfasst mit Anlagen 102 Seiten und allerlei Rechts- und Fachbegriffe, von denen die meisten Unternehmen vorher nie gehört haben dürften. Bereits ab dem 01. Oktober 2023 sollten die relevanten Informationen von den Unternehmen erfasst werden. Die Vorbereitungszeit betrug also sechs Wochen, was nicht nur für kleinere Unternehmen viel zu knapp war.

Der CBAM-Report muss über ein spezielles Register abgegeben werden, zu dem die Unternehmen nur über die zuständige nationale Stelle einen Zugang bekommen können. Während die meisten EU-Mitgliedstaaten diese Behörde bereits früh im 4. Quartal benannt haben, erfolgte die Bekanntgabe für Deutschland zwei Tage vor Weihnachten und kam damit erst im Januar bei den Unternehmen an. Für die Anmeldung und das erste Vertrautmachen mit dem gänzlich neuen System verblieb also weniger als ein Monat. Den Zuschlag bekam wider Erwarten nicht eine Behörde im Bereich des Wirtschaftsministeriums oder der Zollbehörden, sondern die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), die dem Umweltbundesamt zugeordnet ist.

Die Eingabe der nötigen Daten funktioniert nicht fehlerfrei und problemlos. Erst am 26. Januar, also wenige Tage vor Ende der Abgabefrist für den ersten Report, wurde ein neues Update zur Behebung von Fehlern veröffentlicht.

Fehlende Ansprechpartner, mangelnde Unterstützung

Das „National CBAM Service Desk” der DEHSt macht seinem Namen insofern keine Ehre, als es derzeit mit dem folgenden Hinweis glänzt: „Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir momentan keine individuellen Antworten auf Ihre Fragen geben können. Alle für Sie derzeit relevanten Informationen finden Sie auf unseren Internetseiten.“

Unternehmen, die sich bei dem Versuch der Umsetzung mit immer neuen Fragen konfrontiert sehen, haben keinen Ansprechpartner, der eine Antwort gibt. Eingeschaltete Verbände laufen ebenso ins Leere, da die üblichen Ansprechpartner in Ministerien und Behörden selbst nicht informiert sind. Dies ist in anderen EU-Ländern offenbar anders, die ihren Unternehmen anscheinend tatsächlich echten Service und Hilfe bei aufkommenden Fragen liefern.

Von der EU-Kommission erstelle Hilfsdokumente stehen nur in englischer Sprache zur Verfügung und werden häufig überarbeitet. Welche Änderungen vorgenommen wurden, kann der geneigte Leser selbst herausfinden. Das Handbuch für CBAM-Anmelder umfasst 86 Seiten, das Handbuch für die Datenstruktur weist 273 Datenfelder auf.

Naive Aufgabenzuteilung, EU fragt unnötige Daten ab

EU-Importeure sollen zwar die die Emissionen der von ihnen eingeführten Waren melden, können diese aber naturgemäß nicht selbst ermitteln. Dies obliegt den Anlagenbetreibern in aller Welt und EU-Importeure sollen als Erfüllungsgehilfe der EU-Kommission diese Daten abfragen. Das Handbuch zur Ermittlung der Emissionen nach EU-Vorgabe umfasst 252 Seiten. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten und zeigt sich bereits jetzt, dass auch gutmütige Anlagenbetreiber an der ihnen auferlegten Aufgabe scheitern werden.

Ein von der EU-Kommission erstelltes Excel-Sheet, das hiesige Importeure zur Abfrage der Daten bei den Drittlandherstellern nutzen sollen, ist äußerst kompliziert aufgebaut und erfragt zu allem Überfluss auch noch jede Menge Daten, die im CBAM-Report gar nicht verpflichtend anzugeben sind. Zudem kommt es gerade bei Erzeugnissen aus Stahl zu einer Diskriminierung von Produzenten in Drittländern. Diese sollen Emissionsdaten ermitteln, während es eine solche Pflicht für vergleichbare EU-Hersteller nicht gibt.

Die Vereinfachung, für die jeweiligen Erzeugnisse einfach Standardwerte einzutragen, wird nur bis Ende Juli 2024 angeboten. Was dann passiert, wenn die benötigten Emissionsdaten nicht vorliegen, scheint offen. Ob die zuständigen Stellen der EU wirklich glauben, dass die Anlagenbetreiber der Welt ihre Emissionen nach EU-Vorgaben ermitteln und im besten Fall sogar im CBAM-Register der EU hinterlegen? Was ist, wenn die Anlagenbetreiber selbst von ihren Vorstoff-Lieferanten nicht die benötigten Daten bekommen?  Was ist in den Fällen, in denen der Import über Händler und Zwischenhändler erfolgt, die für eine sehr hohe Zahl von Erzeugnissen und Bezugsquellen ihrerseits ihre Lieferanten ansprechen und auf Reaktionen warten müssen?

Nach den ersten Erfahrungen mit Reaktionen der betroffenen Hersteller scheint die Vorstellung äußerst naiv, dass in mehrteiligen Wertschöpfungsketten, die oft auf mehrere Länder verteilt sind, innerhalb von wenigen Monaten die benötigten Daten zur Verfügung stehen.

Folgenabschätzung nur auf dem Papier

Natürlich wurde ein so großes Projekt wie CBAM nicht ohne vorige Folgenabschätzung und ohne die Versicherung auf den Weg gebracht, den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass sich die EU bei den Folgen ihres Vorhabens für die Unternehmen völlig verschätzt hat. Dem Vernehmen nach liegt die Zahl der betroffenen EU-Unternehmen um ein Vielfaches über den Erwartungen. Auch durch die auf den letzten Drücker erfolgte Ausweitung der betroffenen Waren auf bestimmte Erzeugnisse der Stahlverarbeitung ist die Zahl der Betroffenen massiv gestiegen und dürfte alleine in Deutschland in die Tausende gehen. So sind zum Beispiel Schrauben Massenware, die vielfach auch von kleinen Händlern in die EU importiert wird.

In einem vor der Beschlussfassung über die CBAM-Einführung veröffentlichten Dokument der EU-Kommission zur Folgenabschätzung werden Umsetzungskosten genannt, die bereits nach wenigen Monaten um Größenordnungen überschritten sein dürften. Weiter heißt es, da nur wenige Basis-Erzeugnisse von CBAM erfasst würden, seien hauptsächlich große Unternehmen von der CBAM-Einführung betroffen. Für kleine und mittlere Unternehmen sei die praktische Auswirkung gering, weshalb man auf eine Folgenabschätzung speziell für diese Gruppe ebenso verzichtet habe wie auf eine gesonderte Vorab-Konsultation. Alleine diese Einschätzung zeigt, wie weit sich die Brüsseler Entscheider von der Realität entfernt haben.

Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Unternehmen, die sich mit der CBAM-Implementierung beschäftigen, können Trost nur in der Tatsache finden, dass sie nicht alleine sind. Der zusätzliche finanzielle Aufwand, den sehr viele Unternehmen zur Erfüllung administrativer Pflichten tragen müssen, wird im Gesamtrauschen des großen „Fit for 55“-Pakets mit großer Wahrscheinlichkeit einfach untergehen.

 

 

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult.

Foto: StahlmarktConsult, Fotolia

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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