Eine Abkürzung zum fertigen Bauteil
von Angelika Albrecht
Ein Wissenschaftler vom Fraunhofer IPA hat einen Weg gefunden, wie sich einige der zahlreichen Prozessschritte von der ersten Skizze bis zum fertigen Bauteil einsparen lassen. CAD-Modell, technische Zeichnung und die Einstellungen an der Maschine entfallen. Alles, was Konstrukteure und Fertiger noch brauchen, sind neun einfache Zeichen.
Zwischen der ersten Skizze und dem fertigen Bauteil liegen zahlreiche fehleranfällige Prozessschritte und viel Arbeitszeit: Zunächst fertigt eine Konstrukteurin ein dreidimensionales CAD-Modell an. Daraus leitet sie dann eine zweidimensionale technische Zeichnung ab und ergänzt sie um zusätzliche Angaben: Toleranzen, Passungen, Parallelitäten, die Rauigkeit der Oberfläche und dergleichen mehr. CAD-Modell und technische Zeichnung übergibt sie dem Fertiger. Dieser nimmt bei einfachen Bauteilen die entsprechenden Einstellungen direkt an der Maschine vor. Bei komplexeren Geometrien hingegen empfiehlt es sich, die Daten in eine CAM-Software zu laden, die daraus dann automatisiert Maschinenbefehle generiert. Welche Fräser und Bohrer geeignet sind, um das Rohmaterial zu bearbeiten und wie das Rohteil am besten eingespannt werden muss, muss der Fertiger aber selber entscheiden.
Tobias Herrmann von der Abteilung Leichtbautechnologien am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA hat nun einen Weg gefunden, wie in Konstruktion und Fertigung einige dieser vielen Prozessschritte eingespart werden können. CAD-Modell und technische Zeichnung werden dabei ersetzt durch eine Nomenklatur aus neun grundlegenden Zeichen, mit denen alles angegeben werden kann, was eine Fräsmaschine umsetzen soll. Diese Zeichen schreibt eine Werkerin oder ein Werker mit einem Stift direkt auf das Rohmaterial: R5 steht zum Beispiel für eine Rundung mit einem Radius von fünf Millimetern, F20 für eine 20 Millimeter breite Fase oder E10 für eine Ausfräsung von zehn Millimetern, deren exakte Form und Abmessung anhand von Linien auf dem Rohmaterial vorgegeben sind.
Ein Mittel gegen den Fachkräftemangel
Hinzu kommen neun Konventionen, etwa dass beim Zeichnen von Konturen und Features nur Linien in einem Winkel von 0°, 45° oder 90° zulässig sind oder dass sich der Werkstücknullpunkt aus Sicht des Maschinenbedieners immer in der linken oberen Ecke befindet. Ist das Rohmaterial beschriftet und eingespannt, wird es von einem Laserscanner abgetastet, werden die Zeichen interpretiert und daraus eine Vektorgrafik abgeleitet. Danach übersetzt eine Software binnen weniger Sekunden die Vektorgrafik in Maschinenbefehle (NC-Code) und erstellt ein Soll-Bauteil als CAD-Modell. In den Maschinenbefehlen enthalten sind nicht nur genaue Angaben darüber, an welcher Stelle die Maschine mit welchem Werkzeug was tun soll, sondern die Software sieht auch Werkzeugwechsel vor. Sie schreibt also vor, an welcher Stelle die Maschine andere Fräser oder Bohrer zu verwenden hat.
Mit diesen Eigenschaften wäre »EasyCNC«, wie Tobias Herrmann seine Entwicklung nennt, nicht nur eine Abkürzung zum fertig bearbeiteten Bauteil, sondern auch ein Mittel gegen den grassierenden Fachkräftemangel. Denn EasyCNC überträgt das Fachwissen erfahrener Konstrukteure und Fertiger in Softwarebefehle. »Das Know-how zur Bearbeitung ist damit nicht mehr in den Köpfen der Konstrukteure und Fertiger, sondern in der Maschine und Software gespeichert«, sagt der Forscher.
Zwischensteuerung soll Zugriff auf Bestandsmaschinen ermöglichen
Bis es soweit ist, sind allerdings noch ein paar offene Fragen zu klären. Allen voran: Wie bekommt man Zugriff auf alte CNC-Maschinen? Denn Bestandsmaschinen sind oft nicht auf die Digitalisierung ausgelegt. Es ist nicht vorgesehen, dass externe Systeme auf sie zugreifen und ihr Befehle erteilen. Herrmann versucht nun, die Maschinenbefehle über eine Zwischensteuerung zu beeinflussen. Darüber könnten CNC-Maschinen dann auch auf Netzwerke und Datenbanken zugreifen. Zusätzlich können damit Anleitungen und Anweisungen an den Maschinenbediener weitergegeben werden. Um dies umzusetzen, sind jedoch noch viele Tests zur Maschinenkommunikation und Systemintegration notwendig.
Unterdessen verfeinern Herrmanns Projektpartner bei der EVT Eye Vision Technology GmbH, einem Anbieter von Machine-Vision-Lösungen, ihre Deep-Learning-Algorithmen weiter. Denn die Algorithmen, welche die Linien und Zeichen auf dem Rohteil in Verbindung mit einem von EVT entwickelten Laser-Scanning-System erkennen und klassifizieren, sind essentiell für die weiteren Verarbeitungsschritte. Die Reuss Maschinenbau GmbH & Co. KG, ein weiterer Projektpartner, entwickelt derweil den Prototyp einer Fräsmaschine, in den das Laser-Scanning-System von EVT zusammen mit Einrichtungen zur Bauteilreinigung und der zusätzlichen Steuerungsanbindung integriert werden sollen. Geplanter Projektabschluss ist der 30. September 2023.
Quelle und Vorschaubild: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA / Fotos: Rainer Bez
Bildvermerk, links:
Neun Zeichen, die auf das Rohmaterial geschrieben werden, könnten künftig genügen, um einer CNC-Maschine einen Produktionsauftrag zu erteilen.
Bildvermerk, rechts:
Fertiges Bauteil, wenn die CNC-Maschine die Zeichen interpretiert und das Rohmaterial entsprechend bearbeitet hat.